Wer trauert hat genug zu tun - Konfliktlösungen für pflegende Angehörige im Rahmen der Trauerphasen

Claudia* kann nicht mehr, sie schläft keine Nacht durch. Ihre Mutter klingelt Claudia 5- bis 7-mal aus dem Bett, weil sie es nicht mehr selbst zur Toilette schafft. Wenn Claudia morgens zur Arbeit kommt, ist sie bereits erschöpft. Es fehlt an Kraft und Konzentration. Seit Wochen geht das nun schon so und gleichzeitig beobachtet Claudia, die sich entschieden hat, Ihre Mutter so lange wie möglich zu Hause zu pflegen, wie diese immer mehr abbaut. Claudia fragt sich, wie sie das alles schaffen soll und zählt die Tage bis zur Pensionierung in der Hoffnung, dass sie anschließend besser mit der Situation umgehen kann … noch 60, noch 30 …

Aber wohin mit Claudias Frust darüber, dass ihre Mutter, bei allem, was Claudia für sie tut, überwiegend schlecht gelaunt und wütend reagiert? Claudia braucht eine Pause und organisiert für Ihre Mutter eine geriatrische Reha. Sie hofft, Ihre Mutter kommt dort wieder zu mehr Kräften und ist danach mobiler. Obwohl sie Angst vor dem Ortswechsel und der damit verbundenen Veränderung hat, stimmt Claudias Mutter der Reha zu.

 

Gemeinsam durch schwere Zeiten - Die Rolle der Trauer in der Pflege

Pflegebedürftige erleben immer mehr, wie ihr Körper seinen Dienst einschränkt. Kraft, Ausdauer und Autonomie gehen verloren. Wer vorher noch sein Leben selbst gemanagt hat, ist inzwischen auf die Hilfe anderer angewiesen und kann sich schwach und hilflos fühlen, wütend und frustriert. Auch wenn nicht über jedem Pflegeprozess mit einem zeitnahen Tod das unausweichliche Ende schwebt, gibt es für Pflegebedürftige gute Gründe,  den verlorenen Fähigkeiten hinterherzutrauern. Zugleich steht für die pflegenden Kinder ein epochaler Abschied an. Plötzlich müssen sie sich um die Eltern kümmern. Die Rollen werden auf den Kopf gestellt. Nun ist die Kindheit endgültig, spätestens mit dem Sterben der Eltern, zu Ende. Jede Form des Abschieds bedeutet auch ein Ende von etwas, das nicht mehr zurückkommt. 

Der Umgang zwischen pflegebedürftigen Personen und Ihren pflegenden Angehörigen bringt in der Zeit der Pflege viele Herausforderungen und Konflikte mit sich. Jede*r geht im Angesicht der Pflegebedürftigkeit durch verschiedene Phasen der Trauer. 

 

Der unbewusste Einfluss der Emotionen auf die Kommunikation in der Pflege

Aufbauend auf zahlreichen Interviews mit Sterbenden und Trauernden entwickelte die schweizerisch-US-amerikanische Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross (* 8. Juli 1926 in Zürich; † 24. August 2004 in Scottsdale, Arizona) ihr 5-Phasenmodell der Trauer.

Im Rahmen der Trauerphasen durchleben die Beteiligten, nach Kübler-Ross, individuell ausgeprägt starke Emotionen, wie Schock, Verleugnung (Verdrängung), Wut/Zorn, Verhandeln, Depression bis am Ende die Phase der Akzeptanz eintreten kann. 

Diese starken Emotionen wirken sich häufig auf die Pflege aus, ohne dass es den Beteiligten bewusst ist. Aus einer starken Emotion heraus lässt sich selten sachlich und vernünftig miteinander sprechen. Wenn dieser Emotion nicht die notwendige Aufmerksamkeit geschenkt wird, kann es nicht zu einer Lösung der konfliktbelasteten Situation kommen. Die Fronten verhärten sich eher. Oftmals kommt den selbst emotional stark belasteten Angehörigen die Rolle, derjenigen zu, die einen ruhigen Kopf bewahren und Ihre Emotionen im Zaum behalten müssen. Dadurch fühlen sich viele überfordert, nicht gesehen und ungenügend wertgeschätzt.

 

Konflikte Pflegebedürftiger und Lösungsansätze in den verschiedenen Trauerphasen

1. Verleugnung (Denial)

 

Auftretende Konflikte:

  • Ablehnung von Hilfe: Die pflegebedürftige Person leugnet den Bedarf an Pflege oder medizinischer Behandlung.
  • Widerstand gegen Veränderungen: Veränderungen in der Pflegeroutine oder Umgebung werden abgelehnt.
  • Realitätsverweigerung: Die Pflegebedürftigen weigern sich, den Verlust oder die Schwere der Krankheit anzuerkennen.

Darauf eingehen:

  • Empathisch sein: Zeigen Sie Verständnis und Mitgefühl für die Sorgen und Gefühle.
  • Geduld zeigen: Geben Sie der Person Zeit, die Realität zu akzeptieren.
  • Verständnisvoll kommunizieren: Sprechen Sie einfühlsam über die Notwendigkeit der Pflege und die Vorteile der Unterstützung durch professionelle Pflegekräfte.

 

2. Zorn (Anger)

 

Auftretende Konflikte:

 

  • Aggression oder Wut: Die Pflegebedürftigen reagieren wütend auf Pflegekräfte, Familienmitglieder oder die Umstände im Allgemeinen.
  • Vorwürfe: Schuldzuweisungen an andere für ihren Zustand.

Darauf eingehen:

 

  • Verständnis zeigen: Erkennen Sie die Wut als Teil des Trauerprozesses an und zeigen Sie Empathie.
  • Ruhig bleiben: Nehmen Sie die Wut nicht persönlich und bleiben Sie ruhig in Ihrer Reaktion und Kommunikation..
  • Hören Sie aktiv zu: Lassen Sie die Person ihre Gefühle ausdrücken, ohne sie zu unterbrechen oder zu bewerten.

 

3. Verhandeln (Bargaining)

 

Auftretende Konflikte:

 

  • Unrealistische Erwartungen: Die Pflegebedürftigen haben unrealistische Erwartungen oder Bitten, um die Umstände zu ändern.
  • Versuche, die Pflege zu verhandeln: Sie könnte versuchen, die Notwendigkeit von Pflege oder medizinischer Behandlung zu verhandeln.
  • Verhandlung mit höheren Mächten: Die Götter werden eingeschaltet, wenn ich gesund werde, mache ich...

Darauf eingehen: 

 

  • Geduldig sein, Unterstützung anbieten: Seien Sie geduldig und unterstützend, während die Person versucht, mit ihrer Situation umzugehen.
  • Realistische Perspektive bieten: Helfen Sie der Person, realistische Erwartungen zu setzen.
  • Offene Kommunikation: Sprechen Sie offen über die Möglichkeiten und Grenzen der Pflege.

 

4. Depression

 

Auftretende Konflikte:

 

  • Verstärkte Traurigkeit: Tiefe Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit rauben Energie und Antrieb, sich so weit wie möglich selbstständig einzubringen und erschweren die Pflege.
  • Rückzug und Isolation: Die Pflegebedürftigen ziehen sich immer weiter zurück und isolieren sich von den Pflegekräften, Familienmitgliedern und Freunden.
  • Pflege wird verweigert: In der tiefe eine Depression, scheint der einzige Ausweg zu sein, weitere Pflege und Behandlung abzulehnen.

Darauf eingehen:

 

  • Empathie und Geduld: Zeigen Sie Mitgefühl und Verständnis für das Gefühl der Traurigkeit und der Verzweiflung.
  • Unterstützung und Ermutigung: Bieten Sie Unterstützung an und ermutigen Sie die Person, sich um ihre körperliche und emotionale Gesundheit zu kümmern.
  • Professionelle Hilfe annehmen: Ermutigen Sie die Pflegedürftigen und sich selbst, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, wenn die Depression anhält oder schwerwiegend ist.

 

5. Akzeptanz

 

Auftretende Konflikte:

  • Falsche Hoffnung: Die Person könnte unrealistische Hoffnungen haben, dass sich die Lage noch signifikant verbessert.
  • Gefühl der Resignation: Manchmal wird Akzeptanz mit Resignation verwechselt, was zu einem Gefühl der Hoffnungslosigkeit führen kann.
  • Verdrängung durch die Angehörigen: Wenn die Angehörigen Angst haben, über die letzten Dinge zu sprechen, entstehen Konflikte, sobald die Pflegebedürftigen Ihren Nachlass und ihre Trauerfeier gestalten wollen, dem Thema aber seitens der Angehörigen ausgewichen wird, weil sie es als zu belastend empfinden.

Darauf eingehen:

 

  • Positive Unterstützung: Unterstützen Sie die Person dabei, ihre neuen Lebensumstände zu akzeptieren und so selbst bestimmt und positiv wie möglich zu gestalten.
  • Förderung der Selbstfürsorge: Ermutigen Sie sie, es sich so weit wie nur irgend möglich gut gehen zu lassen und sich kleine und große Freuden zu gönnen.
  • Dankbarkeit: Was war gut? Sprechen Sie gemeinsam darüber, wofür sie im Leben, sowohl in der Vergangenheit als auch jetzt, dankbar sein können. 

 

Kommunikation als Schlüssel zur Verarbeitung der Trauer

Da jeder Mensch anders trauert, ist es entscheidend, individuell auf die Bedürfnisse und Gefühle der Pflegebedürftigen einzugehen. Zusammenfassend sind die folgenden Kommunikationsstrategien für Pflegende und Pflegebedürftige in allen Phasen der Trauer hilfreich, da sie der belastenden Situation Rechnung tragen:

  1. Hören Sie aktiv zu: Wiederholen Sie in eigenen Worten, was Ihr gegenüber gesagt hat. Dadurch zeigen Sie, dass Sie verstehen, worum es geht. Unendlich viel Druck kann so aus der Lage genommen werden. Im Übrigen bedeutet Ihr Verständnis nicht, dass sie damit einverstanden sind. Aber so, öffnen Sie die Tür für eine gemeinsame Lösung.
  2. Reagieren Sie mit Empathie und Geduld vergl. Hierzu Blog #05
  3. Organisieren Sie professionelle Hilfe für Pflegebedürftige und Pflegende. Entlasten Sie Ihr Nervenkostüm und schenken Sie sich gegenseitig Freiräume, indem Sie professionelle Hilfe annehmen. 

Die Pflegebedürftigkeit ist eine herausfordernde Zeit, sowohl für die pflegebedürftige Person als auch für die Pflegenden. Mit Geduld, Einfühlungsvermögen und der richtigen Unterstützung können die Konflikte jedoch gelöst werden.

 

So wie Claudia, deren Mutter sich in der REHA zwar erholt hat, deren Zustand aber so fragil ist, dass die Pflegekräfte Claudia dazu raten, einen Langzeitpflegeplatz zu suchen. Claudia konnte auf den nachvollziehbaren Widerstand Ihrer Mutter einfühlend reagieren. So wurde die schwierige Lage nicht durch zusätzliche unnötige Konflikte verschärft. Claudia kann nun wieder durchschlafen und hat so die Kraft, ihrer Mutter weiter beizustehen.

 

Gerne stehe ich auch Ihnen entweder individuell oder gemeinsam in der Gruppe zur Seite, diese herausfordernde Zeit der Pflegebedürftigkeit Ihrer Eltern zu meistern. 

 

Ab August gibt es wieder die Möglichkeit, sich mit hilfreichem kommunikativen Werkzeug das Leben in der Pflege zu erleichtern.

Im Kurs ab 27.08., oder in den Tagesseminaren am 17.08.24 (Kommunikatives AIKIDO) und am 07.09.2024 in Keine Zeit für Streit! Wie Angehörige und Pflegebedürftige gemeinsam Konflikte lösen.

 

Mehr Infos zu den Seminaren erhalten Sie hier:

 

* Claudia ist eine reale Person. Aus Rücksicht auf ihre Privatsphäre habe ich den Namen geändert.

Hier finden Sie weitere Unterstützung in Bremen:

 

Netzwerk Selbsthilfe Bremen Nordniedersachsen e.V.

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